Alex war unsicher, ob er dieser Geschichte gerecht werden konnte, denn es waren 4 unabhängige Momente, die schlussendlich zusammenfinden würden.
Der erste Moment war vor 15 Jahren, da spielte er als Jugendlicher oft im Schachklub. Verschiedene Generationen waren vertreten, man lernte sich kennen, und manchmal trat er gegen einen älteren Mann an, der ruhig und hilfsbereit war und immer sanft lächelte, wenn er Alex begrüsste. Obwohl Alex mit allen Spielern des Klubs per Du war, so sprach er den älteren Mann immer noch mit Sie an, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Warum? Vielleicht aus Respekt, aber vielleicht auch einfach so.
Der zweite Moment war im Schulunterricht vor 10 Jahren. Manche Lektionen mochte er nicht, so musste er Deutschliteratur lesen, die ihm nicht zusagte. Der Lehrer, vermutlich schon viele Jahre im Beruf tätig, war mit Leidenschaft bei der Sache, aber das übertrug sich nur wenig auf die Klasse. Jedenfalls vergass Alex bald, welche Lektüren das überhaupt gewesen waren.
Der dritte Moment war vor 2 Jahren und 2 Monaten, da suchte er freiwillige Darsteller für den Dreh eines Kurzfilms. Es meldeten sich einige Personen, so auch ein junger, humorvoller Mann mit einer tiefen Stimme, die fürs Radio wie geschaffen wäre. Alex und er blieben auch nach dem Dreh noch in Kontakt.
Der vierte Moment war vor 33 Tagen, an einem Dienstag, da besuchte Alex seine Mutter. Am Esstisch blätterte er ziellos in der Zeitung, was er sonst selten tat. Bis er plötzlich innehalten musste.
Um die Zusammenhänge dieser 4 Momente zu verstehen, müssen wir vom heutigen Tage abermals mehrere Jahre zurück in die Vergangenheit reisen, da war Alex nach langer Pause wiederum im Schachklub anwesend. Die Zeiten hatten sich geändert, es hatte Eintritte und Austritte gegeben, aber der ältere Mann war ein treues Mitglied und jetzt kam er auf Alex zu und sagte: »Ich denke, Sie kennen meinen Sohn.«
»Ihren Sohn?«, fragte Alex erstaunt, denn er hatte keine Ahnung wer das sein mochte.
»Sie waren bei ihm im Deutschunterricht.«
Das hatte Alex nicht erwartet, aber Zufälle würden ja bekannterweise vorkommen.
Es vergingen ein paar Jahre, da war der Kurzfilm bereits abgedreht und veröffentlicht. Plötzlich erhält Alex eine Nachricht von einem der Darsteller, von dem mit der Stimme fürs Radio.
›Ich glaube, du kennst meinen Vater.‹
›Deinen Vater?‹, fragte Alex erstaunt, denn er hatte keine Ahnung wer das sein mochte.
›Du warst bei ihm im Deutschunterricht.‹
Nun war Alex mehr als nur erstaunt, denn er erinnerte sich, schmunzelte und schrieb zurück: ›Somit kenne ich auch deinen Grossvater.‹
Ob man das Zufall nennen will oder Schicksal, das konnte Alex nicht ergründen. Aber er musste immer wieder schmunzeln beim Gedanken, wie er 3 Generationen unabhängig voneinander kennengelernt hatte. Wie der vierte Moment damit zusammenhängt, mag man nun vielleicht erahnen. Der ältere Schachspieler, der durch seine herzliche Art nicht vergessen wurde, ist leider unerwartet verstorben. Obwohl er dem älteren Mann mehrheitlich schweigend gegenübergesessen hatte, obwohl er selten viele Worte mit ihm gewechselt hatte, so merkte er doch, dass da eine stärkere Verbindung gewesen war als gedacht. Somit verharrte er einige Minuten über der Todesanzeige und dachte darüber nach, dass man nie wusste, was das Leben als nächstes bereithalten würde. Und dass Verstorbene oft in den Erinnerungen anderer Menschen weiterleben, wobei diese Zahl an Menschen grösser sein mag als gedacht.
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