»Ich leide schon fast mein gesamtes Leben an Depression. Mit 18 Jahren wurde der Schmerz unerträglich. ›Ich will nicht mehr weiterleben‹, sagte ich zu meiner Mutter. Kaum vorzustellen wie das für sie gewesen sein muss. Wir fuhren sofort zu einem Arzt, auf dem Boden lag ein Meter Schnee … ich kann mich noch genau erinnern.«
Nach diesem Tag blieb Marion für fast 5 Monate auf einer psychiatrischen Klinik. Heute ist sie 30 Jahre alt, und endlich – nach einer langen Krankheitsgeschichte – fühlt sie sich besser.
Wir gehen in Richtung Wald in der Nähe ihres Hauses. »Der Film über psychische Gesundheit, den du heute auf Social Media empfohlen hast … ich habe mir die Zeit genommen ihn zu schauen«, sagt sie. »Ich habe mich wiedererkannt.«
Es ist Zufall, dass ich heute Morgen einen Dokumentarfilm über psychische Krankheiten und deren Behandlung geschaut habe. Eine Aussage blieb mir besonders: ›Eigentlich habe ich alles um glücklich zu sein, trotzdem bin ich es nicht‹, sagte eine Frau, die am Boreout-Syndrom leidet. Sie hatte ihre Firma verkauft und nun, im Alter um die 50 Jahre, weiss sie nicht mehr, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Ein Ziel fehlt.
»Es begann bereits im Alter von 4 Jahren«, sagt Marion. »Vielleicht hatte die Geburt meiner jüngsten Schwester einen Einfluss, vielleicht war ich eifersüchtig. Natürlich wusste ich noch nicht genau, was mit mir passierte, aber ich weinte oft. Sogar als Kind fühlte ich mich nicht leicht und frei … ich kann mich an keinen Moment erinnern, in dem ich richtig glücklich war. In der 5. Klasse fragte mich eine Kollegin, warum ich nach der Schule immer gleich wegmuss. Zwischen der 2. und 8. Klasse machte ich diverse Therapien. Somit antwortete ich, dass ich mich nicht gut fühle. ›Mit Mitmenschen, die sich nicht gut fühlen, will ich nichts zu tun haben‹, sagte sie zu mir. Das traf mich hart.«
Marion erklärt mir, wie sich die Depression anfühlte. »Die Medikamente bewirkten ein Gefühl der Leere, ohne sie spürte ich einen starken seelischen Schmerz. Kennst du das Gefühl, wenn jemand gestorben ist, der dir nahestand? So fühlt es sich an und du weisst nicht warum es da ist. Darum zeigten sich bei mir mit 25 zusätzlich Borderline-Symptome.«
»Du meinst, dass sich deine Gefühle sehr schnell änderten?«, frage ich.
»Nein, nicht bei mir. Es bedeutet, dass ich mich selbst verletzt habe. Ich zog physischen Schmerz dem seelischen Schmerz vor.«
»Wussten deine Freunde, dass du an Depression leidest?«
»Nein. Aber meine Familie wusste es und unterstützte mich. ›Warum hast du nichts gesagt?‹, fragten manche, nachdem ich mich schliesslich öffnete. Doch die Antwort wusste ich selbst nicht.«
Inzwischen sind wir zurück von unserem Spaziergang und stehen im grossen Garten neben ihrem Haus. Miro, ein Australian Shepherd, wuselt um unsere Füsse und sucht nach Aufmerksamkeit. Er ist wie ein energiegeladenes Wollknäuel.
Marion erzählt mir, dass sie einen zweiten Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik hatte – 7 Jahre nach ihrem ersten Aufenthalt. »Zu Beginn dieser 3 Monate schrieb mir ein Kollege eine Nachricht: ›Ist es möglich dich besuchen zu kommen?‹ Das zu lesen machte mich etwas stutzig, denn wir kannten uns nur flüchtig. Schliesslich besuchte er mich jede Woche. Wir kamen uns näher. Manchmal verschloss ich mich, aber er merkte ziemlich schnell, wann er mich in die Arme nehmen konnte und wann es keine so gute Idee war. Er ist sehr geduldig. ›Warum sollte er ausgerechnet jemanden wie mich wollen, die ständig am Weinen ist?‹, fragte ich mich.«
Innerhalb der nächsten 2 Jahre hatte Marion einen dritten und vierten Aufenthalt, jeder von diesen war nochmals von 3 Monaten Dauer. In dieser Zeit gab sie ihrer Krankheit einen Namen … sie nannte sie ihren Dämon. Das ist nun 3 Jahre her, und seitdem hat sich ihr Leben stark verbessert. Der Mann, der sie damals jede Woche besuchen kam, ist nun ihr Freund. Sie zogen zusammen in dieses Haus.
»Am Anfang war es schwer, da wir keine Tiere hatten. Ich bin auf dem Land aufgewachsen.«
Somit kamen als erstes die Zwergkaninchen und Meerschweinchen hinzu. Diese sind wirklich niedlich, das kann ich bestätigen. Nach einiger Zeit war da zusätzlich ein Welpe und ich denke, er war damals schon so aufgeregt wie er es heute noch ist.
»Oh wow, schau mal den Himmel«, bemerke ich plötzlich. »Lass uns ein von Foto von dir und Miro machen.«
»Wenn du ein paar Geräusche machst, wird er sogar in die Kamera schauen«, sagt Marion.
Ihr Hund gibt ihr eine Struktur im Alltag. Und er verteilt pure Lebensfreude. All das scheint mir wie ein Happy End in einem Film zu sein.
»Wie steht es heute um deinen Dämon?«, frage ich gegen Schluss.
»Er ist immer noch da, aber heute ist er klein. Manchmal klopft er an, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber ich lasse ihn nicht mehr rein.«
Zusätzliche Inspiration und Mutmachung teile ich in der Memothek.