›Schöne Tage gewinnen an Bedeutung,
weil sie vergehen.
Schwierige Tage verlieren an Bedeutung,
weil sie vergehen.‹
Diese Zeilen hatte Nicole eines Tages in ihr Notizbuch geschrieben, in welches sie mir an einem regnerischen Dezembertag in ihrer Dachwohnung Einblick gewährte. Nicole erzählte von den alltäglichen Freuden und Herausforderungen, und es war vielmehr das Gefühl, wie es erzählte, das mir Eindruck machte. Die folgenden Textschnipsel schrieb ich mit dem Ziel, dieses Gefühl irgendwie festzuhalten.
»Ich denke an den Tag, als ich im Schnelltempo am Waldrand entlangging, schliesslich anhielt und merkte, dass ich vom Trubel in meinem Kopf nicht davonlaufen konnte. Zu Hause nahm ich den Schlafsack aus dem Schrank, schlüpfte hinein und setzte mich so an den Tisch. Ist das sonderbar?
Vielleicht kennst du das Kinderbuch ›Der stille Stein‹, in dem ein kleiner Stein viele verschiedene Rollen einnimmt. Ein Unterschlupf für Käfer oder Aussichtspunkt für Schnecken oder Schattenspender oder Sitzgelegenheit … man kann so vieles sein und manchmal braucht man einfach nur die eigene Erlaubnis, jemand zu sein, den man insgeheim gerne sein will.
Manche sagen, es sei sonderbar, dass ich mit 31 noch immer den Teddy im Bett habe, den mir meine Sandkastenfreundin zum zehnten Geburtstag geschenkt hat. Oder die lachende Plüsch-Avocado von einer Zockerbude am Stuttgarter Frühlingsfest. Und weisst du was? Das ist mir mittlerweile egal.
Bei mir kommt es vor, dass ich mit dem Schlafsack ins Bett gehe oder ein kleines Kissen gefüllt mit Hirse auf den Bauch lege, um das Gewicht zu spüren, da ich mich schnell im Kopf verliere. An schönen Tagen kann ich mich so sehr freuen, dass ich nachher fix eine Pause brauche. Dafür habe ich sogar einen Begriff eingeführt: emotionsverkatert.
Einmal kam ein Freund auf mich zu und meinte: ›Dich muss man einfach gern haben.‹ Da merkte ich, wie gut Wertschätzung tut und dass genau die Eigenschaften, die manche Leute als sonderbar ansehen, andere wiederum wirklich liebenswürdig finden.«
Zudem sprachen wir über ein Gefühl, das Nicole lange mit sich herumgetragen hatte und schliesslich verbalisieren konnte.
»Für mich gibt es zwei Arten von Dunkelheit.
Die kalte Dunkelheit färbt deine Gedanken vor dem Einschlafen ins Sorgenvolle oder dreht sich um die Angst vor dem Unerkennbaren. Dieser Zustand ist nie gewollt.
Die warme Dunkelheit ist der Moment, wenn jemand neben dir ist, die Gesichtszüge jedoch unerkennbar sind. Das einzige, was euch verbindet, sind eure Stimmen. Oder der Hauch einer Berührung. Alles fühlt sich leicht an, ihr sprecht eure vertrautesten Gedanken aus und wisst, dass wenn die Dunkelheit vorüber ist, auch das Gesagte an diesem Ort zurückbleiben wird.
Die warme Dunkelheit kannst du ebenso allein erleben. Es war etwas, wonach ich mich lange gesehnt habe. Weil ich eine Pause brauchte von allem.«